Influencer:innen und digitale Meinungsführung

Essay vom 28. Juni 2022, von Jonas Sackmann

Inhalt

We Love to
Influence You

Beschäftigt man sich mit der Frage der Meinungsbildung in den sozialen Netzwerken, kommt man um das Phänomen der Influencer:innen nicht umher. Die Wortschöpfung implementiert bereits, dass es hier um Einflussnahme oder Beeinflussung geht. Und das hat einen gewissen unangenehmen Beigeschmack.

Aber wer oder was soll ein Influencer denn überhaupt sein? Werden wir nicht überall in irgendeiner Art und Weise beeinflusst, sei es durch Fernsehen, Zeitung, Werbung, Google und eben auch den sogenannten Influencer:innen? Sollten wir aufhören Bücher zu lesen oder uns nicht mehr mit Freund:innen unterhalten, weil sie uns beeinflussen?

Natürlich ist das nicht so. Also zurück zur Frage nach der eigentlichen Definition: Sehr allgemein beschrieben zählen hierzu Personen, die eine hohe Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken genießen, über eine hohe #Reichweite verfügen und regelmäßig Inhalte veröffentlichen. Das würde allerdings bedeuten, dass die Gruppe der Influencer:innen weit größer wäre, als im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet.

Im Trendreport von news aktuell, einer dpa-Tochter, werden zum Beispiel auch Journalist:innen, Fachleute und Expert:innen, Mitarbeiter:innen eigener Unternehmen, Unternehmensrepräsentant:innen sowie Blogger:innen und Social-Media-Prominente zu der Liste der Influencer:innen dazugezählt.[1]

[1] Vgl. de.statista.com, news aktuell Trendreport 2019: Welche Influencer-Gruppen sind für Ihre Arbeit besonders wichtig?

Es gibt andere Meinungen, die den Begriff stärker an das Influencer-Marketing koppeln. Demnach müsse eine Werbepartnerschaft oder ähnliches vorliegen. Dann gibt es aber wieder solche, die in den Anfängen einer YouTube-, Instagram– oder TikTok-Karriere stehen und vielleicht schon über eine gewisse Reichweite verfügen, jedoch über keine Werbepartnerschaften. Anhand welcher Reichweite, also Zahl der Abonnenten bzw. Follower, man hier die Grenze ziehen soll, ist ebenso unklar.

Häufig werden mit dem Begriff aber vor allem Personen assoziiert, die durch verschiedenste Arten der Unterhaltung, der Bewerbung von bestimmten Produkten oder Lebensstilen im Netz in die Öffentlichkeit treten. Wir denken an #Stereotypen wie Beauty & Lifestyle, Fashion, Gaming und Influencer-Familys.

Die Zuschauer:innen bekommen einen Einblick in den mehr oder weniger reellen Alltag der Influencer:innen. Es wird das Gefühl einer dichten Beziehung zwischen ihnen und dem Publikum erzeugt, welches sich als Community versteht, die gemeinsame Werte und Meinungen teilen.

Die Werbe- und Marketingbranche verstand es schnell, sich dieses Feld anzueignen. So wurden schon früh Strategien für das #Influencer-Marketing entwickelt, um vor allem Produkte und Marken zu bewerben. Für die Marketingbranche sind Influencer:innen wichtige Werbefiguren, die ihnen als authentische Multiplikatoren einen Zugang zu einer speziellen ausgewählten Zielgruppe verschaffen.

Werbung wird nicht mehr gestreut, sondern gezielt platziert. Statt nervige Unterbrechungen im Unterhaltungsprogramm des Fernsehens, verfließen hier die Grenzen zwischen Werbung und Unterhaltung, sodass die Trennung teilweise gar nicht mehr möglich ist – mit Sicherheit jedenfalls nicht von den Jüngsten, die häufig den Kern der Zuschauenden dieser Kanäle bilden. Doch die Werbewelt ist hier nur eine Fassette des Influencer-Daseins.

Die Einflussnahme von #Influencer:innen beschränkt sich nicht allein auf die Bewerbung von Marken und Produkten, sondern betrifft prinzipiell alle #Lebensbereiche.

Influencer:innen bieten ihrem Publikum Einblicke in die privatesten Angelegenheiten, leben einen bestimmten Lebensstil vor und äußern ihre Meinungen zu Alltagsfragen, Politik und Gesellschaft.

In Deutschland sorgte der Musiker- und Webvideoproduzent @Rezo im Zuge der Europawahl 2019 für großes Aufsehen mit einer Kampfansage und knapp einstündigen Kritik der im Bundestag etablierten Parteien. Mit seinem Video Die Zerstörung der CDU erreichte er innerhalb von wenigen Tagen mehrere Millionen Aufrufe. Seine Botschaft wurde durch Zeitungen, Fernsehsender und weitere Kanäle in den sozialen Medien in die breite Bevölkerung weitergetragen.

An diesem Beispiel wird deutlich, welche Reichweite Influencer:innen generieren können und welchen Impact so eine politische Äußerung mit sich ziehen kann. Unklar bleibt, ob wir in solchen Entwicklungen eher Gefahren oder Chancen sehen sollten.

In den klassischen Massenmedien war das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger in eine Richtung ausgelegt, wohingegen in den sozialen Netzwerken jeder und jede zeitgleich Sender und Empfänger ist. Die Struktur dieser Netzwerke und die Mechanismen, wie Informationen bewertet, selektiert und gestreut werden, unterscheiden sich hier grundsätzlich.

Zeitungen und Fernsehsender verfügen über stärkere Kontrollen und handeln entsprechend journalistischen Sorgfaltspflichten, die natürlich je nach Handhabe des Senders besser oder schlechter ausfallen können. Influencer:innen hingegen handeln meistens zunächst als Einzelpersonen. Sie verfügen in der Regel über keine journalistischen Kompetenzen, sofern sie keine entsprechende Ausbildung genossen haben.

Noch problematischer wird es, wenn Influencer:innen ihre Reichweite nutzen, um Desinformation und #Verschwörungsideologien zu verbreiten. Im Zuge der Corona-Pandemie im Jahr 2020 traten hier beispielsweise Prominente wie @Attila Hildmann[2], @Xavier Naidoo[3] oder @Michael Wendler[4] über soziale Netzwerke in die Öffentlichkeit, um nicht nur politische Kritik an den Corona-Maßnahmen zu äußern, sondern ideologisch getriebene Verschwörungs­ideologien zu verbreiten. Letztlich entschieden sich einige der Plattformen selbst dazu einzugreifen, um gefährliche und offensichtliche Falschnachrichten zu entfernen oder entsprechende Profile zu sperren.

[2] Vgl. www.mimikama.at, Ralf Nowotny: Internet- Suche nach Verschwörungsmythen: Hildmann und Gates weit vorne

[3] Vgl. www.mimikama.at, Claudia Spiess: Deshalb spricht Xavier Naidoo ständig von „Adrenochrom“

[4] Vgl. www.mimikama.at, Tom Wannenmacher: Die Verwirrung um Wendler, Verschwörungsmythen und DSDS-Ausstieg

Gatekeeper und Massenmedien

Nach dem großen Hype um soziale Netzwerke, Visionen von einem demokratischen Internet und Orte des freizugänglichen Wissens und Austausches, folgte eine gewisse Ernüchterung. Warum all diese Wünsche unerfüllt bleiben, hängt vermutlich auch mit der algorithmischen Filterung und der Bildung von Echokammern zusammen. Aber warum funktioniert dieses Prinzip offensichtlich so viel schlechter als die bisherigen Massenmedien?

Die Filterung von Nachrichten in den klassischen #Massenmedien, wie Zeitungen und Fernsehen, kann man mit der Gatekeeping-Theorie beschreiben. Akteure, wie zum Beispiel Journalist:innen oder Redakteur:innen, selektieren Nachrichten und legen somit als Gatekeeper fest, welche Themen relevant sind und publiziert werden.

Dazu gehören individuelle Einschätzungen, ob eine Nachricht wahr oder falsch ist und Entscheidungen darüber, in welcher Form diese Nachricht verfasst, gestaltet und veröffentlicht wird. Aber auch grundsätzliche Faktoren, wie zum Beispiel die Organisation der Medieneinrichtung, oder das politische System, in dem dieser Entscheidungsprozess stattfindet, spielen hier rein.

Der ursprüngliche Begriff des Gatekeepings wurde durch den deutschen Sozialpsychologen Kurt Lewin verwendet, der die Entscheidungsprozesse bezüglich der Verwendung von Lebensmitteln in Familien untersuchte. Dieses Prinzip beschrieb er als allgemeingültiges Modell, wodurch es generell auf verschiedenste Fragen angewendet werden könne.

Ein für Lewin treibendes Anliegen in der Theorie des Gatekeeping, war die Frage des sozialen Wandels und ob dieser »induziert« werden könne. Gatekeeper könnten so gesellschaftsweite Veränderungen bewirken, ohne alle Mitglieder der Gesellschaft ansprechen zu müssen. [5]

[5] Vgl. Till Keyling: Kollektives Gatekeeping. Die Herstellung von Publizität in Social Media, S. 60

Der Journalistikwissenschaftler David M. White wandte im Jahr 1950 das erste Mal die Gatekeeping-Theorie auch auf die Selektion von Nachrichten an. Er beschrieb dabei, welche Eigenschaften Akteur:innen im Journalismus in der Frage der Nachrichtenauswahl beeinflussen.

Systematisiert wurde die Theorie von @Pamela J. Shoemaker und @Tim P. Vos im Jahr 2009, indem sie fünf Level von Gatekeeping-Prozessen ausmachten.

Zunächst das Individuelle, darunter subjektive Einflüsse, Normen, Werte und Einstellungen und Arten der Informationsverarbeitung. Zur Routine gehören wiederkehrende Entscheidungsregeln, wie die Orientierung am Publikum, an Annahmen über Nachrichtenwerte oder auch Deadlines und andere Automatismen. Auf dem Level der Organisation fallen intragruppenspezifische Phänomene, wie die Orientierung an Kolleg:innen und der Einfluss von Rollen und des eigenen Status. Unter Institutionen werden Marktverhältnisse, Konkurrenz, Public-Relations und auch politische Einflüsse betrachtet. Zuletzt beschreibt das Level der sozialen Systeme Einflüsse durch politische Ideologien, Kultur, die Sozialstruktur und den Status des Mediensystems. [6]

[6] Vgl. Till Keyling: Kollektives Gatekeeping. Die Herstellung von Publizität in Social Media, S. 62-63

Digitale Gatekeeping

Seinen Ursprung hat die Forschung dieses Feldes bei dem Soziologen Paul F. Lazarsfeld, der 1940 die Auswirkungen von Massenmedien auf die Meinungsbildung von Wähler:innen untersuchte. Dabei wurde sichtbar, dass die Entscheidungen der Wähler:innen vielmehr auf persönliche Kontakte mit anderen Personen zurückzuführen seien. So fokussierte man sich von da an stärker auf die sozialen Bezugsrahmen der Mediennutzer.  [7]

[7] Vgl. Matthias Potthoff:
Schlüsselwerke der Medien­wirkungsforschung, S. 27

Als #Meinungsführer, bezeichnete man die Personen, die einen besonderen Einfluss auf die Entscheidungen anderer ausübten. Die Medien selbst erzielten bei den Rezipient:innen erst Aufmerksamkeit, wenn sie sich mit den individuellen Interessen und Einstellungen der Wähler:innen deckten. Die Selektion der Medien durch die Rezipient:innen hatte also einen verstärkenden Effekt auf ihre bestehende Einstellung. [8]

[8] Vgl. Matthias Potthoff: Schlüsselwerke der Medien­wirkungsforschung, S. 29

Influencer:innen können durchaus als digitale Meinungsführer:innen verstanden werden. Mit dem Aufkommen des Internets und der sozialen Medien verloren die Gatekeeper des Journalismus an Wirkung. Diese Entwicklung kann auf der einen Seite als ein Prozess der Demokratisierung verstanden werden, indem jeder und jede sich auf den neuen Plattformen gleichermaßen mitteilen kann.

Jedoch ist dabei nicht zu vergessen, dass der Journalismus eine wichtige Rolle im demokratischen System darstellt, welcher gerne auch als „Vierte Gewalt“ innerhalb der politischen Gewaltenteilung betitelt wird.

[9] Amelie Duckwitz: Influencer als digitale Meinungsführer. Wie Influencer in sozialen Medien den politischen Diskurs beeinflussen – und welche Folgen das für die demokratische Öffentlichkeit hat, S. 3-4

»Der Journalismus hat sein Informationsmonopol verloren, was im Hinblick auf seine Funktion der Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation insofern problematisch ist, wenn man dies in einem normativen Verständnis für die politische Willensbildung in demokratischen Gesellschaften voraussetzt«[9]

Die Medien- und Webwissenschaftlerin @Amelie Duckwitz verdeutlicht damit den eigentlichen Einfluss dieser Entwicklung auf die öffentliche Meinungsbildung.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass Influencer:innen, genauso wie Journalist:innen, natürlich nie nur in eine Richtung kommunizieren, sondern genauso auch von ihrer Umwelt beeinflusst werden. Zeitungen ist es natürlich nicht egal, was ihre Leser:innen denken,
genauso wie Fernsehsender auf die Einschaltquote schauen.

In den sozialen Medien ist dieser gegenseitige Austausch- und Angleichungsprozess aber noch viel stärker, weil alle gleichermaßen #Sender und #Empfänger sind.

Das zeigt sich z.B. durch direktes #Feedback in Form von Likes, Abonnements, Kommentaren und das Teilen von Inhalten. Dieses Feedback, das sich je nach Plattform verschieden darstellt, »verändert das Prinzip der one-to-many-Kommunikation hin zu einer wechselseitigen many-to-many-Kommunikation, bei der sich mehrere, unterschiedlich große, themen- und zeitabhängige Räume der öffentlichen Kommunikation herausbilden können.«[10] so Duckwitz.

[10] Amelie Duckwitz: Influencer als digitale Meinungsführer. Wie Influencer in sozialen Medien den politischen Diskurs beeinflussen – und welche Folgen das für die demokratische Öffentlichkeit hat S. 3

Häufig bieten soziale Netzwerke auch Statistiken und Tools, mit denen der eigene Content analysiert und optimiert werden kann. Wer es auf YouTube einmal geschafft hat, mit einem bestimmten Videoinhalt, einer provokanten Headline oder einem bestimmen Thumbnail eine besonders große Anzahl an Klicks zu generieren, der wird mit dem nächsten Video eine ähnliche Strategie fahren, um seinen Erfolg weiter auszubauen.

So nehmen die Zuschauer:innen mit ihren Konsumverhalten – welches durch YouTubes Algorithmus natürlich maßgeblich geleitet wird – unmittelbar Einfluss auf den Erfolg der Inhalte. Eine Art fortlaufendes Wechselspiel zwischen Zuschauer:innen und Video-Produzent:innen, unter den plattforminternen Spielregeln.

Ähnliches spielt sich auch im #Livestreaming ab. Streamer:innen treten live per Videokamera an ein Publikum, welches über den Live-Chat widerum Feedback gibt. Auf einem schnelllebigen Format wie diesem ist es umso wichtiger auf Trends und Hypes aufzuspringen.

Häufig sieht man auf entsprechenden Plattformen wie zum Beispiel Twitch, dass viele der Livestreams mit den meisten Zuschauer:innen ein und denselben Inhalt bespielen. Das können zum Beispiel neuerschienende Spiele oder virale und kontroverse Videos, auf die reacted  wird, sein.

Auch auf Instagram kann man beobachten, dass zunehmend Bilder wieder und wieder reproduziert werden, weil sie innerhalb des Like-Systems erfolgreich sind und Erfolg versprechen. Dafür werden romantische Naturschauplätze aufgesucht – die an sonnigen Tagen teilweise überlaufen werden von fotografierenden Instagram-User:innen – oder viel Geld für Uhren, Sportwagen und andere Luxusgegenstände ausgegeben, um das perfekte Lifestyle-Selfie zu inszenieren.

Auf all diesen Plattformen zeigen sich ähnliche Entwicklungen, die durch das #Kopieren und #Reproduzieren von bereits erfolgreichen Inhalten, das einstige Gefühl von Innovation und wirklich neuen kreativen Ideen immer mehr verblassen lässt.

Es wird nur das produziert, was zuverlässig #Likes generiert. Die Plattformen mit ihren Algorithmen sind auch an dieser Stelle wieder Ausgangspunkt aller Entscheidungen darüber, welcher Content auf den Plattformen erfolgreich ist und wie Influecer:innen und auch das Publikum handeln.

Ein Problem
mit der Realität

Im professionellen Journalismus existieren gewisse Entscheidungsregeln, nach denen Nachrichten selektiert werden, um die Relevanz und den Wert einer Nachricht zu bestimmen. Dazu gehören unter anderem Faktoren der geografischen und psychischen Nähe bis hin zu persönlichen Identifikationsfaktoren.

Darüber hinaus dienen Nachrichtenfaktoren aber nicht nur der Bestimmung von Relevanz, sondern auch der Konstruktion eines journalistischen Begriffs der #Realität.

[11] Jürgen Wilke: Nachrichtenauswahl und Medienrealität in vier Jahrhunderten. Eine Modellstudie zur Verbindung von historischer und empirischer Publizistikwissenschaft, S. 26
»Journalistische Nachrichtenwerte zu untersuchen, zielt demnach darauf ab, die spezifischen Merkmale und Definitions­modelle der von den Nachrichtenmedien konstruierten „Medienrealität“ zu ermitteln.«[11]

Hierfür werden heute die acht Faktoren Zeit, Nähe, Status, Dynamik, Valenz und Identifikation, unterschieden, welche ein Ereignis als publikationswürdig definieren.

Zusätzliche Orientierung in den klassischen journalistischen Medien bieten die Stilformen in der Berichterstattung. Die Rezipient:innen sind so in der Lage zwischen Tatsachen und subjektiven Äußerungen zu unterscheiden. Sie können sich auf bestimmte Erwartungen verlassen und auf Intentionen der Veröffentlichung rückschließen.

Solche Orientierungshilfen müssen natürlich auch gelernt sein, aber helfen dabei, das erzeugte Medienbild der Welt zu sortieren, zu bewerten und einen eigenen Realitätsbegriff zu konstruieren.

Wenn so, wie in sozialen Netzwerken, frei nach Belieben jede und jeder publiziert, hat das großen Einfluss auf die #Medienrealität.

In gewisser Weise äußert sich hierin sogar eine Entfremdung vom tatsächlich beobachteten und faktischen Geschehen, welche eine ganz neue eigene „Realität“ – wenn man denn so will – konstruiert.

Wo alles publiziert wird, da kann auch alles wahr und falsch sein. Das Medienbild der Wirklichkeit gerät in einen konfusen Zustand. In dieser Tatsache steckt ein riesiges Streitpotential: Man bedenke nur die Debatte über #FakeNews und die damit einhergehenden verschiedenen Auffassungen darüber, was wahr und was falsch ist.

Wie weit die Medienwirklichkeit teilweise von der realen Wirklichkeit entfernt ist, erahnt man auch am Beispiel der Beauty- und Lifestyle-Welt auf Instagram. Junge Schönheiten posieren hier in makelloser Erscheinung und inszenieren sich in Alltagssituationen.

Der vermeintliche Schnappschuss, der in Wahrheit das Ergebnis von Bildmanipulation und eines geplanten Fotoshootings ist, zeigt uns grundsätzlich nichts neues oder verwerfliches, hätte es nicht zur Folge, dass heranwachsenden Mädchen und Jungen ein falsches Bild der Welt auferlegt wird, in denen sie selbst mit Körper und Seele einem riesigen sozialen Druck ausgeliefert sind. Das medial erzeugte Schönheitsbild suggeriert hierbei eine Normativität.

Im Vergleich zu anderen Medien, wie zum Beispiel Film und Fernsehen, wo auch #Schönheitsideale verkörpert werden, jedoch offensichtlich inszeniert wird, handelt es sich bei Instagram noch um eine Welt, die als „real“ verstanden wird, in dem man echte soziale Kontakte zu echten Persönlichkeiten eingeht.

Ähnlich verhält es sich mit den Schönheitsidealen in der Werbung. Auch hier fällt uns die Trennung zwischen Werbewelt und echte Wirklichkeit leicht. Genau hier befindet sich jedoch ein sensibler Punkt, denn in vielen dieser Inhalte auf Instagram, YouTube, Facebook, oder TikTok steckt eben auch #Werbung. Für @Amelie Duckwitz besteht darin ein Problem, da insbesondere Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklungsphase angesprochen werden:

[12] Amelie Duckwitz: Influencer als digitale Meinungsführer. Wie Influencer in sozialen Medien den politischen Diskurs beeinflussen – und welche Folgen das für die demokratische Öffentlichkeit hat, S. 5
»Zu den Hauptkritikpunkten zählt die angenommene hohe Beeinflussbarkeit von Jugendlichen und jungen Menschen, die sich in der gesellschaftlichen Orientierungsphase befinden, die mangelnde Trennung zwischen Information, Meinung und Werbung, sowie die Abhängigkeit von den großen Plattformen.«[12]

Es bleibt die Frage, welche Kompetenzen man von den Nutzer:innen – seien es Erwachsene oder Kinder – in sozialen Netzwerken erwarten darf, beziehungsweise welche Orientierungshilfen die Plattformen selber beisteuern müssten, damit ein „gesundes“ funktionierendes Weltbild konstruiert werden kann, das nicht im fundamentalen Widerspruch zur Welt außerhalb der sozialen Medien steht.

Das Potenzial
zur Täuschung

Eine häufig in uns verankerte Denkweise ist es, sich auf Mehrheiten zu verlassen und Entscheidungen entsprechend der mutmaßlichen Mehrheit zu fällen. Das vereinfacht uns den Alltag, gibt uns soziale Sicherheit und ein Gefühl von Zugehörigkeit innerhalb der Gesellschaft. Der US-Amerikanische Psychologe @Robert Cialdini schreibt 2001 in seinem Buch Die Psychologie des Überzeugens:

[13] Robert Cialdini: Die Psychologie des Überzeugens. Wie Sie sich selbst und Ihren Mitmenschen auf die Schliche kommen, S. 27-28
»Wir leben in einer außerordentlich komplizierten Welt, zweifelsohne der schnelllebigsten und komplexesten, die es je gegeben hat. Um sich in ihr zu behaupten, brauchen wir Faustregeln oder Shortcuts – Möglichkeiten, rasch, ohne Umwege und langes Überlegen zu reagieren.«[13]

Er beschrieb in seinem Buch umfassend, wie diese „Shortcuts“ verbunden mit den in uns verankerten Automatismen funktionieren, indem er sich auf eine Reihe an beobachteten Experimenten bezieht. Darunter benennt er mit seinem »Prinzip der sozialen Bewährtheit« genau diese Tendenz, sich bei Entscheidungen an anderen Menschen zu orientieren.

Das betrifft zum einen die Influencer:innen und erklärt uns das große Bedürfnis nach #Orientierung der vielen jungen Menschen in der heutigen Zeit. Zum anderen betrifft das aber auch die Orientierung an Mehrheiten, die vielleicht nur scheinbare Mehrheiten darstellen: seien es gekaufte Likes, Social Bots  und Fake-Accounts, um bestimmte Meinungen zu verbreiten oder Aufrufzahlen zu generieren. Hinzu kommt die Abschottung nach Außen durch die Filterblase, welche das Gefühl suggeriert, eben Teil einer Mehrheit zu sein, die eine bestimmte Meinung vertritt.

Grundsätzlich bietet die Technologie ein riesiges Potenzial zur Täuschung, das wir heute noch gar nicht wirklich überblicken können. Wir wissen von manipulierten Videos und Bildern, die Falschnachrichten verbreiten.

Wir staunen darüber, wie täuschend echt mittels Deep-Fakes fremde Gesichter digital auf ein anderes Gesicht projeziert werden können. Bisweilen beschert uns das unterhaltsame Videos, aber die Gefahr einer solchen Technologie ist offensichtlich.

Der Streit um die Wahrheit und um das, was wir als Realität für uns anerkennen, wird sich so schnell nicht legen, sondern in Zukunft noch stärker befeuert werden. Die Betreibenden der Plattformen sollten sich dieser #Verantwortung stellen. Sie sind die Entwickler:innen und Designer:innen, die darüber bestimmen, auf welcher Grundlage und unter welchen Regeln wir zukünftig kommunizieren.