Polarisierung der Gesellschaft oder doch nur Wohlfühlblase?
Essay vom 28. Juni 2022, von Jonas Sackmann
Inhalt
Filter Bubbles
und Echo Chambers
Der englische Begriff #FilterBubble geht zurück auf den Politik- und Netzaktivisten @Eli Pariser. In seinem gleichnamigen Buch von 2011 nutzt er diesen Begriff als Metapher, um auf die Isolation von Nutzer:innen durch personalisierte Filter im Internet aufmerksam zu machen.
Pariser sieht hierin eine Entmündigung der Menschen und zieht die großen Internetkonzerne zur Verantwortung. Deren Algorithmen greifen auf die persönlichen Daten der Nutzer:innen zu, mit welchen dann präzise Prognosen über die Bedürfnisse und das zukünftige Verhalten der einzelnen Personen erstellt werden. Anhand dieser Prognosen werden Filter eingesetzt, um nur bestimmte ausgewählte Informationen an die Nutzer:innen weiterzuleiten.
»Zusammen erschaffen diese Maschinen ein ganz eigenes Informationsuniversum für jeden von uns – das was ich die Filter Bubble nenne«, so Pariser, »und verändern so auf fundamentale Weise, wie wir an Ideen und Informationen gelangen.«[1]
Es werden zwei wesentliche Probleme und zugleich Merkmale bestimmt, die den Begriff der Filterblasee definieren. Zunächst sitzt jeder für sich allein in seiner eigenen Blase. Das Unterscheidet sie von zuvor bekannten Massenmedien, wie zum Beispiel das Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen.
Zweitens ist die Filterblase und die Grundlage nach der sie für uns auswählt unsichtbar. Genauso unsichtbar wie alles andere außerhalb unserer Blase. Anders als bei einer bewussten Entscheidung für eine Zeitung mit einer bestimmten politischen Prägung, können wir nicht einschätzen auf welcher Basis und aus welcher Motivation heraus die Nachricht verfasst wurde.
Selbst der Versuch, sich umfassender und politisch breiter zu informieren, wird erschwert und unterbunden. Pariser stellt dabei heraus, dass es einen unterschied macht, ob die Filterung auf einer aktiven Entscheidung oder einem passiven Prozess basiert: »Da man die Kriterien, mit denen Websites Informationen filtern, nicht selbst festgelegt hat, hält man die Informationen, die in die Filter Bubble gelangen, für neutral, objektiv und wahr.«[3]
Ein weiterer Begriff der häufig mit Filterblasen in Verbindung gebracht wird, ist die #EchoChamber, zu Deutsch Echokammer. Sie beschreibt den Effekt, in denen Personen in ihrem Umfeld einzig mit Informationen und Meinungen konfrontiert werden, die ihren eigenen entsprechen. Beide Begriffe werden im Kontext der Untersuchung der politischen Polarisierung und der Spaltung der Öffentlichkeit durch digitale Medien verwendet.
Um die Begriffe sauber zu trennen, ist es wichtig zu verstehen, dass Filterblasen auf der Anwendung von personalisierten Filtern durch Algorithmen basieren. Die Echokammer kann zudem auch auf das Verhalten der Nutzer:innen selbst zurückgeführt werden. Das liegt zum einen schon am scheinbar unausschöpfbaren Medienangebot. In diesem können wir beliebig nach eigenem Geschmack und Weltbild selektieren. [4]
[4] Vgl. Jan Philipp Rau und Sebastian Stier: Die Echo-
kammer-Hypothese: Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?, S. 403-404
Eine weitere Antriebskraft liegt in der Struktur und den Möglichkeiten der Vernetzung von Sozialen Medien. Sie bestärken die Bildung von Gruppen, in denen Informationen geteilt und bestätigt werden, die zu einer zunehmenden Polarisierung führen können. Insbesondere Facebook und Telegram wurden in jüngster Vergangenheit zu beliebten Portalen für Verschwörungideolog:innen und radikale Gruppen. Die Plattformen dienten ihnen als optimales Instrument, um sich auszutauschen, zu organisieren und gegenseitig zu bestätigen.
Die Grundlage für personalisierte Filter sind Daten, die durch die ständige #Überwachung der Nutzer:innen sogenannte Benutzerprofile erstellen. Diese intelligenten Datenpakete werden als Ware zwischen Plattformbetreibern und Werbenden, die den Wunsch haben ihre Zielgruppe bis ins Detail zu durchleuchten, gehandelt.
Welche Daten werden im Internet gesammelt?
Diversität und
politische Verlagerung
Die Auswirkungen von Filterblasen oder auch Echokammern sind umstritten und die Studienlage ist bis heute nicht eindeutig. Gründe hierfür liegen unter anderen in der mangelnden Klarheit des Forschungsgegenstandes, verschiedene Plattformen, die in unterschiedlichen Kombinationen mal zusammen und mal getrennt untersucht wurden und generell der Schwierigkeit, einzelne technische Features mit sozialen Faktoren in Verbindung zu bringen.
Neben Studien, welche die zunehmende Interaktion mit Gleichgesinnten belegen und #Studien, die für meinungsverstärkende Wirkungen sprechen, gibt es auch andere Untersuchungen, die durchaus einen informationserweiternden Effekt durch soziale Medien feststellen konnten.
In dem Research Article Understanding Filter Bubbles and Echo Chambers von Dezember 2020 wurden Nutzer:innen von sozialen Medien auf die Veränderung ihres Nutzungsverhalten von Informationsquellen untersucht. Es wurde untersucht, ob es eine Zunahme oder Abnahme in der Diversität der genutzten Informationsquellen gab und ob es eine Verschiebung in der Politischen Ausrichtung nach rechts oder links gab.
Die Analyse bedient sich eines Datensatzes mit über vier Jahren Webbrowsing-Historie von 200.000 US-Amerikanern. Berücksichtigt wurden darunter die Plattformen Facebook, Reddit und Twitter, für welche innerhalb der untersuchten Zeitspanne plattformspezifische Ergebnisse gemessen wurden.
[6] Vgl. Brent Ktichens, Steven L. Johnson und Peter Gray: Understanding Echo Chambers And Filter Bubbles: The Impact Of Social Media On Diversification And Partisan Shifts In News Consumption, S. 1621
Es wird sichtbar, dass je nach Plattform deutliche Unterschiede in den Ergebnissen zu sehen sind. Gründe hierfür könnten in den unterschiedlichen Nutzer:innengruppen auf diesen Plattformen liegen oder auch an der Struktur und dem Design selbst.
Auf Facebook und Twitter wurde jeweils ein hoher Grad an Homophilie, der Tendenz eher mit Menschen zu interagieren, die einem ähnlich sind, gemessen. Ebenfalls benutzen diese Plattformen eine stärkere personalisierte Filterung. Reddit hingegen basiert auf themengebundenen Communities und durchmischt unterschiedliche Ansichten von Nutzer:innen, die sich für dasselbe Thema interessieren.[7]
Diese Art von Informationsfilter werden auch als #GenerativeFilter bezeichnet. Es ist daher anzunehmen, dass generative Filter, im Gegensatz zu personalisierten Filtern, zu einer neutraleren und unparteiischeren Informationsvermittlung führen.
Abschließend lässt sich aus der Studie nicht sicher ableiten, wie hoch das Risiko einer steigenden Polarisierung durch soziale Medien ist. Aber es lassen sich gewisse Tendenzen und Risiken herauslesen. Ein Großteil der Menschen hat gelernt, reflektiert mit sozialen Medien zu interagieren und sie informationserweiternd für sich zu nutzen. Einige haben vielleicht sogar ein Bewusstsein für ihre eigene Filterblase entwickelt und erkennen ihre Subjektivität an. Trotzdem gibt es genug Menschen, die sich durch die Filterung von Plattformen bevormunden und sogar radikalisieren lassen und sich so von der Mitte der Gesellschaft entfernen.
Platform Crisis
Die politische #Polarisierung st für uns global spürbar. In den US-Wahlen 2021 konnten die Wahlprogramme von Demokraten und Republikanern kaum unterschiedlicher sein. Auch in Deutschland und Europa spalten Themen wie die Flüchtlingspolitik oder der Klimawandel und die Energiewende die Gesellschaft. Und die Zustimmung für autoritäre und rechtsradikale Parteien hat in den vergangenen Jahren an verschiedenen Orten der Welt einen großen Zuwachs erlebt.
Die Vermutung, dass die sozialen Medien hier eine entscheidende Rolle spielen, ist angesichts der Debatte um Fake News naheliegend. @Eli Pariser spricht von einer „platform crisis“ als er 2019 mit einem Vortrag bei den TED Talks auftritt:
Mit seiner Rede richtet er sich insbesondere an die Entwickler von Plattformen und stellt dabei die Frage in den Mittelpunkt, welche Art von Konversationen wir überhaupt wollen und wie wir dafür den richtigen Rahmen gestalten. Gründe für die Destruktivität dieser Plattformen bzw. sozialen Räume, findet er in der Strukturlosigkeit und der Unklarheit über Verhaltensregeln und sozialer Normen. Damit bezieht er sich auf den Begriff der #Anomie, der durch den französischen Soziologen Émile Durkheim geprägt wurde. Die Verringerung der sozialen Ordnung könne demnach die gesellschaftliche Integration nicht gewährleisten und führe zu Angst und Unzufriedenheit.
Trotz der uneindeutigen Studienlage über den Einfluß auf eine gesellschaftliche Polarisierung, können wir bei Einzelpersonen beobachten, wie diese sich in ihren Filterblasen zunehmend isolieren und radikalisieren. Es finden sich Communitys, die sich mit Falschinformationen gegenseitig anstacheln und bestätigen.
Zudem wird diesen Personen innerhalb ihrer Gruppen das Gefühl gegeben, ihre Informationswelt sei die normale richtige Welt. Das, was als die Öffentlichkeit empfunden wird, ist in Wahrheit jedoch nur ein kleiner Teil einer personalisierten Blase. Das beinhaltet auch soziale Normen über das, was in der Öffentlichkeit laut ausgesprochen werden darf und was nicht.
Da die Motivation für den Einsatz von personalisierten Filtern eine wirtschaftliche ist, werden die Konzerne kaum davon ablassen. Denn das Ziel ist es, die Nutzer:innen dazu zu bewegen, möglichst viel Zeit auf den Plattformen zu verbringen. Je höher die Zeit, desto höher auch ihr Kontakt mit Werbung. Es geht also darum die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen möglichst lange zu halten.
Diesen Kampf um die Aufmerksamkeit bezieht Pariser auf Nicholas Negroponte, der bereits im Jahr 1995 in seinem Bestseller Total Digital ein ganz ähnliches Szenario entwarf: »Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der Sie über einen Interface-Assistenten verfügen, der für Sie jede Nachricht und jede Zeitung, jedes Fernsehprogramm und jede Radiosendung weltweit empfangen kann und Ihnen daraus eine persönliche Zusammenfassung erstellt. Diese „Zeitung“ können Sie sich dann in einer Auflage von einem Exemplar drucken lassen.«[9]
Weiter beschreibt Negroponte, wie nach Tageszeit und -stimmung ein unterschiedlicher Grad an #Personalisierung benötigt wäre, der wie ein Lautstärkeregler zu bedienen sei. Und weitere Filterprozesse, wie z.B. von politisch rechts nach links, die durch die Nutzer:innen bewusst und individuell eingestellt werden können.
Tatsächlich aber bleiben für uns die heute eingesetzten Filter und Algorithmen von Google, Facebook und Co. im Verborgenen und können weder im Code eingesehen, noch über die Oberfläche durch uns beeinflusst werden. Doch wenn wir aus unser Filterblase nicht heraustreten können, vielleicht bleibt ja dann die Hoffnung, dass wir in Zukunft selber Einfluss auf die Filter nehmen können? Wenn uns unser Medienangebot zu eindimensional ist, vielleicht könnten uns dann die #Tools gegeben werden, mit denen wir die Filter in verschiedenen Bereichen öffnen oder verengen könnten?
Digitale Mündigkeit
Es sollte im allgemeinen Interesse stehen, Medienkompetenzen an Menschen in allen Altersgruppen und sozialen Klassen zu vermitteln. Wir werden immer wieder neuen Medien und Plattformen begegnen, bei denen wir erst einmal lernen müssen, wie damit umzugehen ist. Und in emotionalen Situationen ist jeder von uns empfänglich und handelt schnell mal im Affekt.
Bevor wir kontroverse Inhalte teilen – und das gilt insbesondere für Beiträge, die uns emotional aufwühlen, uns wütend, traurig oder anderweitig stark berühren – sollten wir unbedingt deren Wahrheitsanspruch infrage stellen. Wir sollten uns fragen, wer der Verfasser dieser Nachricht ist und welche Intention dahinter stehen könnte. Im besten Fall recherchieren wir, ob die Verfasser:innen dieser Nachricht bereits andere Falschnachrichten verbreitet hat und ob er sich auf seriöse Quellen bezieht, die mir als Leser:in glaubwürdig erscheinen und die ich überprüfen kann.
Solange uns die technischen Möglichkeiten nicht gegeben sind, über unsere eigene Filter zu bestimmen, ist es um so wichtiger alles daran zu legen, trotzdem ein möglichst breites #Informationsangebot wahrzunehmen.
Es ist ratsam verschiedene Zeitungs- und Nachrichtenangebote auf deren eigenen Websites zu verfolgen und sich nicht darauf zu verlassen, was einem der Google-News-Feed oder Facebook, Twitter und Instagram vorschlagen. Plattformen, die wie Reddit mit generischer Filterung arbeiten, könnten für ein breiteres Informationsangebot sorgen.
Davon abgesehen, sollte man sich nicht nur auf die Nachrichten und Informationen im Internet verlassen, sondern genauso auch redaktionell erarbeitete Printangebote nutzen und sich in seinem direkten sozialen Umfeld aktiv mit seinen Freunden, Verwandten und Kollegen austauschen.
Uns sollte bewusst sein, dass die Algorithmen, die unsere #Filterblaseformen, auf unseren Verhalten und unseren bereitgestellten Daten zurückzuführen sind. Wir können den Prozess dahinter nicht einsehen, sondern nur entscheiden, was wir über uns preisgeben und was wir auf der anderen Seite von den Plattformen dafür erwarten.
[10] Constanze Kurz und Frank Rieger: Die Datenfresser. Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen, S. 248
Wen interessieren denn wirklich die Datenschutzerklärungen, die man bei der Installation einer neuen App bestätigen muss? Und warum möchte eigentlich jede App zugriff auf meine Kamera und mein Mikrofon haben? Verzicht würde abhelfen, aber ist häufig keine ernsthafte Option.
Wenn ich vielseitiger informiert werden möchte und mich in meiner Filterblase beengt fühle, dann ist es vielleicht sinnvoll bestimmte sensible Daten über mich zurückzuhalten. Vielleicht sollte man die eigenen Interessen breiter streuen, um der Personalisierung einen größeren Spielraum zu geben, wie Pariser auch in seinem Buch anmerkt:
Die Quelle unserer Informationen ist also viel mehr als die tägliche Berieselung mit Nachrichten, sondern beeinflusst unser Denken und Handeln grundsätzlich.
Ansonsten empfiehlt sich ein gesunder Mittelweg aus Neugier und Skepsis und ein starkes Durchhaltevermögen, um sich weiterhin um spannende und respektvolle Diskurse im Internet zu bemühen. Es bleibt die Idee von einem besseren Internet, das in ein paar Jahren sowieso wieder ganz anders aussehen wird.
Internet No. 3.0 – ich bin gespannt.